Was ist Kendo?

Kendo bedeutet im Japanischen «Weg des Schwertes» (Oshima et al. 2006:12) und hat seine Wurzeln in der von den Samurai bestimmten feudalen Gesellschaft des alten Japan. Seit dem 8. Jahrhundert praktizierten die Samurai Schwertübungen und prägten unzählige Stile und Schulen (Ryu) aus, die als Kenjutsu zusammengefasst werden. Diese Praktiken bilden die Basis für das moderne Kendo mit seinen über 2’000 Techniken. Kendo ist auf Angriff ausgerichtet. Die Entwicklung von Kampfgeist, Technik, Disziplin, innerer Ruhe ist zentral für diesen Sport. Zugleich werden über die körperlichen Übungen innere Haltungen und Werte vermittelt und eingeübt.

Die Entwicklung des modernen Kendo begann in der Meiji Ära (1868–1912). Der japanische Kaiser leitete die Modernisierung Japans und die Auflösung der feudalen, mittelalterlichen Gesellschaft ein und beendete somit auch den Gefolgschaftsdienst der Samurai. Aus Angst vor Revolten wurde verboten, das Lang- und Kurzschwert (jap. Katana und Wakizashi) zu tragen. Die Schwertkunst aber überlebte in vielen kleinen Schulen, in denen sie über Generationen hinweg tradiert wurde. Die Techniken wurden mit einem Holzschwert (Boken oder Bokuto) geübt, manchmal mit oder auch ohne Schutzrüstung.

Das moderne Kendo wird mit einer Sportwaffe, dem Shinai, einem aus vier Bambusstreben gefertigten Schwertersatz, ausgeführt. Als Schutz beim Vollkontakttraining dient eine vereinfachte Samurai-Rüstung, der Bogu, der früher aus Bambus und Leder, heute hauptsächlich aus Fieberglas gefertigt ist. Um die Verletzungsgefahr zu senken und die Sportlichkeit zu betonen wurden im Zweikampf (Shiai) die Trefferzonen auf den Helm (Men), den Brustpanzer (Do) und die Hände und Handgelenke (Kote) eingeschränkt und unlautere Tricks verboten. Unter der Rüstung trägt der Kendoka einen Hosenrock, eine weite Reit-Hose (Hakama) im Design des 16. Jahrhunderts, sowie eine abgesteppte Jacke (Gi) aus fest gewebter, indigoblauer Baumwolle.

Eine funktionale und realistische Kampftechnik stellt das moderne Kendo nicht mehr dar. Der Japanische Kendo Verband hat nach dem 2. Weltkrieg erklärt, dass Kendo nur noch als Sport ausgeführt werden soll. (Oshima et al. 2006: 9) Heute wird Kendo in japanischen Schulen, Gymnasien und Universitäten praktiziert und geniesst grosses Ansehen als Teil der Bildung. Dadurch ist Kendo in der japanischen Populärkultur sehr prominent. Auch in Europa sind Bekanntheit und Verbreitung des Kendo in den letzten Jahren stetig gewachsen.

Der Do (Weg) als Lebensschule und Charakterbildung und die philosophischen Aspekte des Kendo stehen im Vordergrund. So ist das Dojo, der Ort, an dem Budo-Künste wie Kendo gelehrt werden, buddhistischer Herkunft. (Oshima et al. 2006: 14) Buddhismus und Zen haben die geistige Haltung in der Schwertkunst und die Entwicklung des Kendo wesentlich beeinflusst (vgl. Deshimaru 1978; Kammer 2007).

Der Ehrenkodex der Samurai, das Bushido, oder übersetzt, der Weg des Kriegers, prägt bis heute den respektvollen und ritualisierten Umgang im Dojo und im Sport. Bushido basiert auf sieben zentralen Werten; dies sind:

  • Richtige und ehrenvolle Entscheidung (Gi),
  • Mut im Kampf und im Zivilleben,
  • Wohlwollen und Grossmut gegenüber Kranken, Schwachen und Unterdrückten, Mitgefühl mit Menschen in Not und Achtung vor dem Feind (Jin),
  • Respekt gegenüber Jedermann, insbesondere Eltern Familie, Vorgesetzen und Freunden (Rei),
  • Aufrichtigkeit in Sprechen und Verhalten (Makoto),
  • Ehre (Meiyo) und
  • unbedingte Loyalität seinem Herrn gegenüber (Chugi).

 

Das Bushido wurde im japanischen Mittelalter strikt und rigoros ausgelegt. Heute müssen wir sorgfältig abwägen und uns überlegen, wie wir mit dem Kodex umgehen möchten. Es ist weder notwendig noch wünschenswert, das Bushido unkritisch zu übernehmen. Vielmehr haben wir die Chance, diese Werte neu zu füllen und ihnen durch sinnvolle Auslegung und Anwendung zu der notwendigen Wirkung in uns selbst und in unserer Gesellschaft zu verhelfen.

Was bringt Kendo heute?

Das Japanische Kulturministerium hat in den «Richtlinien für Kendo an Schulen» geschrieben, dass folgende Grundsätze im heutigen Sport vermittelt werden sollen:

  • «Entwicklung der Körperkraft einschliesslich der Schnelligkeit und Geschicklichkeit»

  • «Erlangen der korrekten Körperhaltung»

  • «Förderung der Aufmerksamkeit und Entschlussfähigkeit»

  • «Entwicklung des Verantwortungsbewusstsein und der Selbständigkeit»

  • «Achtung des Mitmenschen bei gleichzeitiger Würdigung des Zeremoniellen» (Oshima et al. 2006: 13

 

In unserem Dojo nehmen wir uns diese Prinzipien zu Herzen und bauen darauf unsere eigene Philosophie auf. Budo bedeutet für uns, den Schülern Haltungen und Werte für ihren Lebensweg mitzugeben, mit denen sie selbst wachsen und in ihrer Gesellschaft zum Guten beitragen können.

Der Budo-Sport und die Kampfkunst prägen Menschen über die kontinuierliche und bewusste körperliche Praxis. Im Sport machen die Teilnehmer Erfahrungen, die ihnen im Alltag zugute kommen. Sie lernen, sich selbst und ihr Gegenüber richtig einzuschätzen, auch bei Härten oder nach Niederlagen ihr Ziel weiter zu verfolgen, sie erfahren Grenzen und lernen, Respekt mit Selbstsicherheit zu verbinden und Siege über sich selbst mit Ausdauer und Disziplin zu erringen.

Wir erreichen dies mit intensivem Training, Meditation und Reflexion. Jeder von uns hat persönliche Ziele im Sport und im Leben, die wir auf verschiedene Weise anstreben können. Dennoch ist es der Weg, den wir gemeinsam mit Gleichgesinnten beschreiten, der uns viel weiter bringt.

«Wenn man aber den Weg der Wahrheit beschreitet, soll man sich eine geradlinige und aufrechte Einstellung bewahren, die ernsthaft darauf abzielen soll, das Prinzip der Kampfkunst mit dem Alltagsleben zu verschmelzen.» (Miyamoto 2003: 116))

Literatur

Eine der bekanntesten Quellen für Bushido ist vermutlich das Hagakure, das auch durch Filme wie «Ghost Dog» von Jim Jarmusch im Westen Berühmtheit erlangte. Diese Schrift war als Vermächtnis Yamamoto Tsunetomos an seine Nachkommen gedacht. Er vermittelt darin seine reiche Lebenserfahrung und mahnt zur vorbildlichen Lebensweise, die oft idealistische Züge trägt. Trotzdem findet sich manch schöne Stelle, an der Yamamoto treffende Menschenkenntnis zeigt, die losgelöst vom historischen Kontext noch heute von
Bedeutung ist.

«Der Samurai muss zuerst in sich selbst Weisheit, Güte und Tapferkeit pflegen.» (Yamamoto 2007: 67)

Ein anderes ebenso intensives Zeugnis ist das Lebenswerk eines unorthodoxen Kriegers Miyamoto Musashi (2003), der uns das Buch der fünf Ringe (Gorin no Sho) hinterlassen hat. Obwohl Musashi ein unehrenhaftes Leben geführt hatte, erlangte er tiefe Erkenntnisse in der Schwertkunst. Sie sind heute in die Management-Literatur übertragen worden (z.B. Schmincke 1997).

«Wie bedeutend der Gegner auch sein mag, man darf nie denken, er wäre überlegen.» (Miyamoto 2003: 77)

Deshimaru, Taisen 1978: Zen in den Kampfkünsten Japans. Heidelberg: Werner Kristkeitz.
Fujisawa, Shuhei 2005: The Bamboo Sword and other samurai tales. Kodansha, London
Kammer, Reinhard 2007: Zen in der Kunst, das Schwert zu führen. Frankfurt /M.: O.W. Barth.
Miyamoto, Musashi 2003: Das Buch der Fünf Ringe (Gorin no Sho). München.
Nitobe, Inazô: Bushidô. Die sieben Tugenden des Samurai. München: Piper.
Oshima, Kotaro; Ando, Kozo 2006: Kendo; Lehrbuch des japanischen Schwertkampfes. Berlin.
Pohl, Manfred 2002: Geschichte Japans. München.
Schmincke, Don 1997: Samurai-Prinzipien für den Manager des 21. Jahrhunderts. Was wir von der japanischen Führungselite lernen können. Frankfurt /M.: O.W. Barth.
Yamamoto, Tsunetomo 2007: Hagakure, Der Weg des Samurai. Kabel 2007. 6. Auflage. [und 2000 München: Piper. 2. Auflage]

Redaktion: Catiana Beer, Laura Tsialkagaras , Winterthur, 06.09.2010


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